„Man wollte es lieber nicht so genau
wissen….“
Bericht über die Theologische Tagung 2011
mit Bettina Stangneth, der Verfasserin des Buches „Eichmann vor
Jerusalem“

„Man wollte es lieber nicht so genau wissen….“
Bericht über die Theologische Tagung 2011 mit Bettina
Stangneth, der Verfasserin des Buches „Eichmann vor Jerusalem“
Kaum zu begreifen, aber das sind die Fakten:
Adolf Eichmann ist es gelungen, die Weltöffentlichkeit noch
während des Prozesses in Jerusalem zu täuschen und sich als
williges und ferngesteuertes „Rädchen im Getriebe“ darzustellen.
Er hat damit eine Denkfigur begründet, die bis heute Folgen hat:
Die Figur des Schreibtischtäters, der einer persönlichen
Verantwortung ausweichen kann, weil er ja Befehlen gehorchen
musste….
Diese Typen gab es tatsächlich, nur: Eichmann gehörte nicht
dazu. „Er hat eine wahre Geschichte erzählt, aber es war nicht
seine, es war die seiner Angestellten“, so Bettina Stangneth.
Eichmann war der Ghostwriter von Heidrich bei der
Wannseekonferenz, er war als oberster „Judenreferent“ direkt
Hitler unterstellt und international bekannt. Innerhalb
kürzester Zeit las er sich in die Materie „Judentum“ ein und
pflegte einen Judenhass, der beispiellos ist. Alle kannten ihn:
Reichsintern als der große Planer der Deportationen und
Vernichtungslager, als Schrecken aller jüdischen Gemeinden, als
offizieller „Judenreferent“, der „Judenberater“ in jedes
besetzte Land schickte. Er besichtigte die Todesmaschinerie in
Auschwitz persönlich, seine Idee waren die „Todesmärsche“
1944-1945, als die Front immer näher rückte, er kämpfte in
seiner Funktion seinen ganz persönlich motivierten Kampf gegen
das „Judentum“, das er für geistig überlegen und deshalb
bedrohlich hielt. Weil er solche Bedeutung hatte, konnte er das
Versteckspiel im Nachkriegsdeutschland nicht gut ertragen: Als
Hühnerzüchter oder Holzfäller unterzutauchen nagte an seiner
riesigen Gier nach Anerkennung. Damit gehörte er in den Kreis
der „Ausgebremsten“ nach 1945, die ihre Pläne für ein
großdeutsches Reich selbst als Untergetauchte in Argentinien
immer noch nicht aufgegeben hatten. Sie trafen sich in großen
Runden im Haus von Sassen, einem Nazi-Journalisten, und
schwelgten in ihrer „rühmlichen“ Vergangenheit. Sassen plante
ein Buch über Eichmann, deshalb sind die Tonbänder und
Mitschriften fast komplett erhalten geblieben. Auf die ist
Bettina Stangneth bei ihrer Recherche gestoßen. Sie verarbeitet
diese Informationen im Buch, auf dem auch ein ARD-Film beruht:
Eichmanns Ende, mit Ulrich Tukur und Axel Milberg. Details im
Zusammenhang zu hören, war sehr spannend: z.b. über die
Entscheidungen der Adenauer-Regierung, Eichmann auf keinen Fall
in Deutschland vor Gericht zu stellen oder über den BND, der
schon 1958 wusste, wo Eichmann zu finden war. Eine Kreditzusage
an den damaligen israelischen Regierungschef Ben Gurion wurde
gekoppelt mit der Hinrichtung Adolf Eichmanns.
Bei der sog. „Entnazifizierung“ sind ganze Bereiche „vergessen“
worden: Die Industrie, die bis heute auf dem Gewinn aus der
Judenvernichtung aufbaut, die Eisenbahner, die wesentlich zur
Vernichtung beitrugen. Was innerhalb von 12 Jahren die Oberhand
gewann in Behörden, in Universitäten und im gesellschaftlichen
Leben, ließ sich so leicht nicht abschalten. Viele wurden mit
gewissenlosen Kompromissen durch die Adenauer-Regierung
integriert in das entstehende Neue und konnte die Zeiten
überdauern (vgl. das Buch über das Auswärtige Amt), was auch ein
Grund für die Blindheit der Behörden gegenüber den aktuellen
Neonazis ist. 30.000 Nazis flüchteten nach Argentinien,
unterstützt von Kreisen der katholischen Kirche, die ihren
Kommunistenhass pflegten und den Nazigrößen mit gefälschten
Papieren und Klosterunterkünften bereitwillig halfen. Einige
wussten sehr genau, worauf sie sich einließen – die Mehrheit
wollte es lieber nicht so genau wissen. Das zu hören, ist
widerlich und stellt die Frage nach Bearbeitung und
Schuldeinsicht der Kirche. Eichmann, der 1960 vom Mossad
(israelischer Geheimdienst) nach Israel entführt und vor Gericht
gestellt wurde, versuchte ein letztes Mal, die Juden zu belügen.
Das gelang ihm – aber es reichte nicht mehr. Er wurde am 31.Mai
1962 hingerichtet. Es bleibt auch nach dieser sehr informativen
und recht gut besuchten Tagung (22 Leute!) ein Rätsel, woher die
Fähigkeit zum absoluten Bösen stammt. Selbst die Sassenrunde war
entsetzt über die Abgründe des Adolf Eichmann, als er
Einzelheiten der Judenvernichtung preisgab, gemütlich im Sessel
sitzend, ein Glas Wein in der Hand. Stand ein Gefühl gegen das
andere: Die maßlose Gier nach Anerkennung und Macht einerseits
und andererseits menschliche Regung und Empathiefähigkeit? War
es das Zusammentreffen von Ideologie und einer Persönlichkeit,
die mit schauspielerischem Talent begabt war? Das Rätsel bleibt
und lässt sich nicht wegpsychologisieren. Wir werden ihm weiter
auf der Spur bleiben.
Wir empfehlen zwei Bücher:
Bettina Stangneth, Eichmann vor Jerusalem
Willi Winkler, Der Schattenmann
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